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Kein Mord: Pistorius lediglich wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

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Vor 19 Monaten kam die Lebensgefährtin des Olympiastars Oscar Pistorius in Südafrika ums Leben. Nun wurde das Urteil gesprochen: Fahrlässige Tötung und Verstoß gegen das Waffengesetz. Der angeklagte Sportler räumte die Schüsse auf seine Freundin durch eine geschlossene Tür im Prozess ein. Er erklärte jedoch, dass er sie für einen Einbrecher hielt. Das Gericht in Südafrika glaubte dem Angeklagten, hielt sein Verhalten jedoch trotzdem für fahrlässig.

Für das angloamerikanische Recht untypisch stand Pistorius keiner Jury gegenüber. Allein eine Richterin hat über die Tat geurteilt. Diese Besonderheit liegt in der Vergangenheit des Landes begründet. Durch die Apartheid befürchtete man in Südafrika, dass es durch eine weiße Jury zu ungerechten Urteilen gegenüber farbigen Angeklagten kommen könnte. Daher verzichtete das Land auf die für das angloamerikanische Recht typische Jury.

Eine weitere Besonderheit gegenüber dem deutschen Recht: Es wird erst die Begründung und dann die Strafe bekanntgegeben. Die Art und Weise der Prozessführung – Entscheidung durch nur eine Richterin bzw. einem Richter – mutet im Vergleich zu Strafprozessen in Deutschland sonderbar an. Die Praxis, zunächst die Urteilsgründe zu verlesen, dann erst den Schuldspruch und schließlich Wochen später erst das Strafmaß ist eine ungeheure psychische Belastung für den Angeklagten. Bereits einem Tag vor dem tatsächlichen Urteil schloss die Richterin die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung in ihrer Begründung aus. Das südafrikanische Recht unterscheidet zwischen „premeditated murder“ und „murder“. Ersteres ist die planvolle und absichtliche Tötung, für „murderer“ reicht dagegen ein sogenannter dolus eventualis (Eventualvorsatz). Dies bedeutet, dass der Täter gewusst habe, dass jemand sterben könnte, dies jedoch billigend in Kauf genommen hat.

Deutschland kennt bei vorsätzlichen Tötungsdelikten diese Unterscheidung nicht. Sowohl für Mord als auch für Totschlag reicht der dolus eventualis. Die Unterscheidung erfolgt hier nach Tatbegehung oder Tatmotivation. So können beispielsweise Heimtücke oder Habgier die Verurteilung wegen Mordes begründen. Lediglich im Falle der Strafzumessung kann in diesen Fällen die Vorsatzform relevant werden. Der Handlungsunwert liegt bei einer absichtlichen Tötung in der Regel höher als in Fällen, in denen der Tod lediglich billigend in Kauf genommen wurde.

Nachdem das Gericht eine vorsätzliche Tötung jedoch ausgeschlossen hatte, blieb nach Anhörung von 37 Zeugen und Gutachtern nur noch die fahrlässige Tötung („culpable homicide“) übrig. Dies kann als Erfolg der Verteidigung gesehen werden.

Ein wesentlicher Punkt der Strategie des Strafverteidigers von Pistorius ist – zumindest in dieser Instanz – aufgegangen.. Hierdurch wurde vor allem eine lebenslange Freiheitsstrafe verhindert. In Südafrika hätte dies bedeutet, dass frühestens nach 25 Jahren eine erste Überprüfung der Strafrestaussetzung erfolgt wäre. In Deutschland erfolgt solch eine Prüfung bei lebenslanger Freiheitsstrafe in der Regel schon nach 15 Jahren, sofern nicht die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird.
Das südafrikanische Recht sieht für die fahrlässige Tötung keinen festgelegten Strafrahmen vor. Vielmehr muss das Gericht im Einzelfall entscheiden, welche Strafe angemessen ist. Dabei wird maßgeblich zu berücksichtigen sein, wie nachlässig der Angeklagte bei der Beurteilung der angeblichen Notwehrlage war. Auch wird in diesen Fällen zu berücksichtigen sein, dass Pistorius seine Lebensgefährtin durch das fahrlässige Handeln verloren hat. Dies kann erheblich strafmildernd wirken. Hält das Gericht die Fahrlässigkeit jedoch für besonders hoch, kann Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren drohen.
Die Verkündung der konkreten Strafhöhe erfolgte heute jedoch noch nicht. Das Gericht hat dafür noch mehrere Wochen Zeit. Pistorius wird aber bereits jetzt etwas aufatmen können, da die Strafe sicherlich deutlich milder ausfallen wird, als bei den beiden vorsätzlichen Tötungsvarianten.

Ganz sicher kann er sich aber noch nicht sein: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Dabei wird vor allem die Ablehnung des Tötungsvorsatzes in Form des dolus eventualis im Vordergrund stehen. Es ist somit sehr wahrscheinlich, dass das Verfahren in eine neue Runde gehen wird.

Der Prozess mit dem für viele Prozessbeobachter überraschenden Zwischenergebnis zeigt nicht nur, dass eine scheinbar deutliche Beweislage bei genauerer Betrachtung und entsprechender Strafverteidigung – hier durch Staranwalt Roux – geradezu „zerlegt“ werden kann. Er zeigt auch, dass die Beweiswürdigung oftmals im Auge des Betrachters liegt. In Kapitalstrafsachen, in denen es um Mord und Totschlag bzw. fahrlässige Tötung geht, liegen „Welten“ nicht nur zwischen der Frage Schuld oder Unschuld, sondern auch im Hinblick auf die angemessenen Strafe. Gerade bei medienträchtigen Prozessen mit bekannten Personen spielt oft die öffentliche Wahrnehmung und Stimmung eine Rolle. Dass die Öffentlichkeit Pistorius für die Schüsse auf die ebenso attraktive wie beliebte Reeva Steenkamp wohl lieber wegen Totschlags oder gar Mord verurteilt gesehen hätte, hat die Richterin nicht beeindruckt. In vielen Mordprozessen ist dies anders.

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Pistorius die Person in der Toilette für einen Einbrecher gehalten hat, dann hat er durch die Tat seine geliebte Frau verloren. Dies ist nicht nur nach südafrikanischem, sondern wäre auch nach deutschem Recht erheblich strafmildern zu berücksichtigen (§ 60 StGB).


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